von Gerhard Wachinger am 2. Adventssonntag, 8. Dezember 2019
// Was nun? Paradiesische Zustände mit friedlichem Nebeneinander, sogar miteinander von Raubtieren und Beutetieren, Angst und Aggression überwunden, Frieden auf Erden? Oder: Schlangenbrut, die sich in Acht nehmen soll, dass sie im nächsten Moment verurteilt wird.
Eine eigentümliche Spannung liegt zwischen den Lesungstexten am 2. Advent. Das ist ja bewusst so ausgewählt. Wir Menschen leben im 2. Advent, zwischen der ersten Ankunft Jesu vor 2.000 Jahren und seiner Wiederkunft in wieviel Jahren? Und in dieser Zeit zwischen dem 1. und dem 2. Advent Jesu liegt die Spannung, die in den Texten deutlich wird: es gibt eine Ahnung vom Paradies, auf das wir hoffen und zugleich die Predigt JdTs, die einen Weg dahin aufzeigt.
Seine Hörer sollen Frucht bringen, die Umkehr zeigt. Am nächsten Sonntag wird Joh konkreter, bringt Beispiele. Heute bleibt er beim Grundsätzlichen. Es geht ums Grundsätzliche heute.
Da steht er, der wilde Mann in der Wüste, karge Landschaft, karge Kleidung, und ruft: das Himmelreich ist nahe! Die Wirkung ist so stark, dass viele Menschen hinaus pilgern aus der Stadt, um ihn zu hören. Nicht nur das, sie bekennen ihre Sünden und lassen sie im Ritual der Taufe abwaschen. Wir können uns das kaum noch vorstellen. Diese Form von Erweckungspredigt ist uns fremd geworden, zu laut, zu amerikanisch.
Wir haben subtilere Formen, die unsere Sehnsucht ansprechen, die uns hinziehen zu Predigern, die uns faszinieren, unsere Schuld einzugestehen und sie in einem Ritual loszuwerden.
Was fällt uns dazu ein? Talkshows, in denen öffentlich gebeichtet wird vor einem charismatischen Moderator, der gleichsam die Absolution erteilt? Oder ein Parteitag, auf dem übers Grundsätzliche gestritten, von einer ganz anderen Welt geträumt und in einem Ritual des Schuldeingeständnisses scheinbar neu angefangen wird. Oder viele andere Beispiele. Das soll genügen, um anzudeuten, dass die Predigt JdTs nur scheinbar weit weg ist von unserer Realität und wie nah sie an unserer Sehnsucht ist.
Es gibt natürlich einen großen Unterschied zu heute: kaum noch wird der Narrativ der Menschen einen Bezug zu Gott herstellen. Kaum noch werden die Wünsche der Menschen eine Ausrichtung auf Gott vornehmen. Gottes Gericht bleibt seltsam unbestimmt.
So bleibt es an uns, die wir hier in der Kirche zusammen sind, ein Deutungsmuster zu entwickeln. Nicht allgemein für die Welt aus christlicher Sicht, sondern im queerGottesdienst speziell aus queerer christlicher Sicht. Greifen wir nochmal den Gedanken des Gerichts auf, das so zentral bei JdT ist. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume angelegt, jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen. Erleben wir das nicht allzu deutlich in der Kirche, wo gerade Schwule und Lesben, Bi und Trans und Inter sich abwenden von einer Kirche, die für sie keine gute Frucht bringt? Mehr noch als bei Heterosexuellen vollzieht sich Gottes hartes Gericht durch die Abwendung der Menschen. Eine Umkehr in der Kirche tut Not, es braucht deutliche Zeichen, dass LSBTI-Menschen in der Kirche wirklich willkommen sind. Und ich hoffe, dass wir kurz davorstehen. Dass wir Zeugen sind einer umwälzenden Veränderung. Es wird nicht gleich das RG anbrechen, aber zumindest sehe ich Schritte dahin, dass Kalb und Löwe zusammen weiden und Kuh und Bärin sich zusammen nähren. Ich sehe, wie die Kirchenleitung auf uns zugeht und ernsthaft Interesse an uns hat. Das Projekt der Regenbogenpastoral kommt in die Zielgerade und hat die Chance, nachhaltig die Praxis in der Kirche zu verändern. Das Totschweigen, das Ausgrenzen, das Nichtwahrhabenwollen von Schwulen und Lesben, Trans und Inter in der Kirche geht zu Ende. Wir haben lange genug dafür gebetet. Und so wie 1989 durch das Gebet Mauern einstürzten, sehe ich für 2020 Mauern in der Kirche einstürzen und neue Räume entstehen. Wenn endlich die geschlechtliche Orientierung kein Grund mehr ist für einen Ausschluss aus der Kirche, können wir uns endlich gemeinsam Gott zuwenden und miteinander beten. Um Gottes Willen geschieht die Anerkennung der Außenseiter. Und so könnte es sein, dass doch noch aus dem Baumstumpf Isais ein Reis hervor wächst, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln Frucht bringt. Der Baumstumpf Isais gedacht als der fast schon abgestorbene Stamm der Kirche, der wieder Leben erhält, eine Chance von den Menschen, die Gott suchen.