CSD-Gottesdienst in St. Lukas, München, 11. Juli 2020: “Shalom! bunt gemeinsam ganz”

Mit der Predigt über die Josefsgeschichte (Gen 37-50) von Thomas Nahrmann zum Nachlesen (s.u)



// Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Was für ein Leben! Was für ein Drama!

Geliebt und verwöhnt vom Vater, gehasst und gedemütigt von den Brüdern und als Sklave ins Ausland verkauft. Nur sein nacktes Leben hatten die Brüder ihm gelassen, weil sie nicht schuldig werden wollten an seinem Blut. Was für ein Drama! 

Vieles an Gutem und Bösem, in das ein Menschenleben hinein verwickelt werden kann, finden wir in der Geschichte von Josef und seinen Brüdern wieder: Hass, Neid, Arroganz, Lüge, Verleumdung, Verführung, Betrug, Demütigung, aber auch Liebe, Großzügigkeit, Freude, Dankbarkeit, Mitgefühl, Vergebung, Versöhnung. Die breite Palette menschlicher Verhaltensweisen. Großes Kino!

Aufstieg und Niederlage folgen im Leben Josefs mehrfach aufeinander. Aber bei all dem Auf und Ab lässt der biblische Erzähler keinen Zweifel daran: Dieses bewegte Leben wird von Gott geführt. Josef ist nicht nur der Liebling seines Vaters Jakob, er ist auch der Günstling Jahwes! Und Josefs einzigartiges Talent, Träume zu deuten, das heißt, in die Zukunft zu schauen, die Zukunft zu erklären und die richtigen, klugen Maßnahmen zu empfehlen, um Gefahr von Land und Leuten abzuwenden, diese außergewöhnliche Fähigkeit kommt von Gott. Sie ist ein Geschenk Gottes.

Und Josef ist auserwählt.

Aber zu was, ist er auserwählt?

Schauen wir auf den Anfang der Geschichte und versetzen uns in die Perspektive der Brüder Josefs, genau genommen seiner Halbbrüder, denn Josef war der elfte Sohn Jakobs, zugleich der Erstgeborene Rahels, der Hauptfrau Jakobs, von der es immer geheißen hat, sie sei unfruchtbar. Aber von ihr heißt es auch, dass Jakob sie wirklich liebte. Deshalb ist Josef der vor allen anderen Brüdern bevorzugte Sohn, weil er der erstgeborene Nachkomme aus Liebe ist. 

Seine Brüder neiden ihm das. Sie mögen denken: Dieses arrogante, faule und verzogene Miststück! Läuft den ganzen Tag in so einem bunten Fummel herum, schafft nichts Produktives, denn in diesen Klamotten lässt sich gar nicht richtig arbeiten. Die harte Arbeit auf dem Feld und mit dem Vieh müssen wir verrichten! Und ausgerechnet dieser siebzehnjährige Träumer will uns weismachen, dass wir uns eines Tages ihm unterwerfen werden? Nein, solch einen Taugenichts können wir in unserer Sippe nicht gebrauchen. Er passt nicht zu uns. Weg mit Josef!

Ich frage mich, Schwestern und Brüder, kommen uns diese Muster von Andersartigkeit und Ausgrenzung nicht bekannt vor? Hält uns der biblische Erzähler einen Spiegel vor? Erleben wir nicht Änliches in unserer gegenwärtigen Gesellschaft? Josef ist unangepasst, er ist bestimmt nicht ohne eigene Fehler. Er erfüllt eben nicht die Normen und Erwartungen seiner Sippschaft, die durch seine Brüder verkörpert werden. Josef fällt aus dem Rahmen, er ist anders. Könnten wir nicht sagen, er ist queer?

Schauen wir uns einmal in der Bibel um, fallen uns einige solcher Queers auf. Die bblischen Erzähler scheinen ein besonderes Intersesse zu haben an Menschen, die scheinbar eine Schwäche zeigen oder die gerade nicht in die gültigen gesellschaftlichen oder theologischen Vorstellungen passen. Die Riege reicht von Adam, dem verführten Schwächling bis zu Jesus von Nazarath, der mit seinem Projekt, das Judentum seiner Zeit zu reformieren, grandios gscheitert ist.

Dazwischen Mose, der stotternde Anführer, der kleine David, der depressive Saul, Jona, der einfach keinen Bock hat, das Werkzeug Jahwes zu sein oder Simon Petrus, der vom Großmaul zum Lügner mutiert. Und viele andere mehr. Und doch: Gott richtet sein Augenmerk gearde auf diese Queers. Sie sind auserwählt.

Aber zu was sind sie auserwählt?

Schauen wir auf das Ende der Geschichte von Josef und seinen Brüdern. Sein Traum von der Unterwerfung der Brüder ist längst in Erfüllung gegangen. Wir finden sie knieend vor dem zweiten Mann Ägyptens, Josef, der zum mächtigen Verwalter aufgestiegen ist. In seinen Händen liegt jetzt das Schicksal eines ganzen Volkes: Das Schicksal, ob die Hebräer leben oder an Hunger sterben werden.

Denn dazu hat Gott den Josef auswerwählt und Josef sagt es seinen Brüdern direkt ins Gesicht: „Um Leben zu erhalten, hat mich Gott vor euch hergeschickt. Also nicht ihr habt mich hierhergeschickt, sondern Gott.“

Ist das nicht ein starkes Bild von einem Gott, der sich die Außenseiter, die Underdogs aussucht, um Gutes zu tun? Um Leben zu erhalten und den Tod in die Schranken zu weisen?

Die Schlusszene mutet vielleicht etwas kitschig an. Noch einmal großes Kino! Viel Emotion und viele Tränen! Josef kann seinen Brüdern vergeben. Aber es geht um mehr als um Vergebung. Es geht um Ver-Söhnung im wahrsten Sinne des Wortes – und bitte verzeicht mir die nicht gendergerechte Sprache! Die zwölf Geschwister finden wieder zusammen zu einer Einheit. Sie werden wieder ganz, gemeinsam werden sie ganz.

Durch das Werk Josefs werden die Söhne Jakobs – und wir dürfen sicher auch Töchter ergänzen – und ihre Nachkommen in Ägypten zu dem mächtigen Volk Israel, dessen Geschichte in der Fremde weitergeht.

„Shalom! bunt gemeinsam ganz“, so haben wir diesen CSD-Gottesdienst in leichter Abwandlung des CSD-Mottos überschrieben.

Dreimal Shalom sollte es heißen! Shalom! Kein Friede ohne Versöhnung. Shalom! Keine Versöhnung ohne Vergebung. Shalom! Keine Vergebung ohne die Erfahung einer bedingungslosen Liebe.

Gemeinsam sind wir bunt. Gemeinsam sind wir ganz!

Amen.

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