// Predigt im queerGottesdienst am 8. Januar 2023 von Johannes Huber
„Segen bringen, Segen sein“ – so lautet das Motto der Sternsinger, die uns jährlich am Dreikönigstag mit dem Spruch „Christus segne dieses Haus“ Gottes Segen spenden.
Nicht einfach nur Segen empfangen, sondern selbst ein Segen sein und diesen Segen anderen bringen – das ist die Zusage, die Gott schon ganz am Anfang der Bibel Abraham macht. Abraham soll sein gewohntes Umfeld verlassen und die Reise ins Unbekannte wagen, um schlussendlich Stammvater des Volkes Israel zu werden. Zahlreich wie die Sterne am Himmel soll seine Nachkommenschaft sein, so verspricht ihm Gott und bedient sich hier eines astronomischen Vergleichs. Ich will bei dieser Stern-Metapher kurz bleiben: Gottes Segenszusage an Abraham ist für die Geschichte Israels quasi das Urknall-Ereignis, wo die Geburt eines Universums voller Sterne angelegt ist. Dieser Urknall hallt aber in Raum und Zeit nach. Was für Abraham gilt, gilt auch für seine Nachkommen. Sie sollen ein Segen sein oder, um bei der Metapher zu bleiben: Sie sollen das tun, was Sterne nun mal am besten können: leuchten, segensreiches Licht verströmen.
Und so ist es nur folgerichtig, wenn der Prophet Jesaja die späteren Israeliten daran erinnert: „Steh auf, werde Licht, Jerusalem!“ Das sind die ersten Worte, die wir in der heutigen Lesung gerade gehört haben. Jesus, den die Bibel als Licht der Welt bekennt, wird später diesen Gedanken aufgreifen, wenn er seinen Jüngern genau dasselbe sagt: „Ihr seid das Licht der Welt! Stellt euer Licht nicht unter den Scheffel. Euer Licht soll allen Menschen leuchten.“
Dieser Dreischritt aus 1) Segen empfangen, 2) Segen sein, 3) Segen bringen scheint wie ein roter Faden die Bibel zu durchziehen. Unser heutiger Gottesdienst mit dem Motto „Bring Licht, sei Segen!“ soll daher ganz im Zeichen dieses Lichts stehen
Im Kontext der Weihnachtszeit denken wir bei Sternenlicht unweigerlich an den Stern zu Betlehem, von dem wir gerade im Evangelium nach Matthäus gehört haben. Vor gut zwei Wochen noch haben wir in der Heiligen Nacht eine andere Version der Geburt Jesu gehört, die des Evangelisten Lukas. Hier wird der Messias in einer Futterkrippe inmitten von Tierexkrementen geboren. Und es ist der Dreck der Gesellschaft, ärmliche Hirten nämlich, denen als Erste die Geburt des Erlösers verkündet wird. Lukas‘ Geburtsgeschichte hat v.a. eine sozialkritische Botschaft: Gott ist nicht da oben, wo Macht und Glamour herrschen, sondern ganz unten bei den Schwachen und Ausgestoßenen, dort wo man es am wenigsten erwarten würde.
Die Matthäus-Version, die wir eben gehört haben, geht aber einen ganz anderen Weg. Jesus wird hier in einem normalen Haus daheim in Betlehem geboren. Hirten kommen hier nicht vor. Stattdessen rückt Matthäus eine ganz andere Personengruppe in den Fokus: Sterndeuter aus dem fernen Morgenland haben den Geburtsstern des Messias aufgehen sehen und begeben sich auf die Reise, um ihm zu huldigen. Dass es sich um drei Könige gehandelt haben soll und ihre Namen Caspar, Melchior und Balthasar waren, das alles ist erst Ausschmückung späterer Legenden. Es sind also Fremde, Ausländer, denen der Stern leuchtet und die damit Zugang zu Christus erhalten. Traditionell spricht man von sogenannten Heiden, Menschen also, die nicht zu Gottes auserwähltem Volk Israel gehören. Die Botschaft von Matthäus ist interkulturell, ich möchte fast sagen völkerverständigend: Nicht nur das Volk Israel, sondern alle Völker der Erde – egal welchen Glaubens, egal welcher Kultur, sind zum Heil berufen, das Christus bringt. Oder astronomisch gesprochen: Das Universum steht nicht still, es dehnt sich kontinuierlich aus. Gottes Kosmos umfasst nicht nur Sterne aus dem Volk Israel, sondern alle Himmelskörper. Sein Universum hat keinen Rand und damit gibt es auch in Gottes Augen keine Randgruppen. Ränder und Grenzen sind menschliche Konstrukte. Zu sagen „du gehörst dazu – du nicht. Du lebst gottgefällig – du nicht“ passiert dann, wenn Menschen sich zu Richtern aufschwingen und meinen, im Namen Gottes Urteile über andere fällen zu können.
An dieser Stelle seien ein paar Hintergrundinforationen zum Verfasser Matthäus genannt. Sein Evangelium schreibt er zu einer Zeit, indem es keine Selbstverständlichkeit war, Heiden als Mitglieder von Gottes auserwähltem Volk anzuerkennen. Matthäus richtet sein Werk an Judenchristen, also Menschen jüdischen Glaubens, die Jesus als Messias Israels anerkannt haben, aber noch selbstverständlich den Glauben praktiziert haben, mit dem sie aufgewachsen sind. Sie beteten selbstverständlich die Gebete ihrer Vorfahren und hielten sich an die Gebote der Tora. Die Heiden wurden von ihnen kritisch beäugt, selbst wenn sie ihren alten Göttern abschworen und sich auch zu Christus bekannten. Das hieß nämlich noch lange nicht, dass sie sich an die Gebote Israels hielten wie etwa Speisevorschriften oder Beschneidung.
Nach dieser Denkweise führten Heiden ein kultisch unreines Leben. Sie passten einfach nicht ins Konzept. Die ersten Christen mussten erst in einem schwierigen Prozess akzeptieren lernen, dass auch den Heiden Gottes Segenszusage gilt. Dafür mussten Konventionen über Bord geworfen werden. Das lief nicht ohne Konflikte ab. Die Bibel erzählt, wie sogar das Kirchenoberhaupt Petrus erst in einer Vision von Gott höchstselbst überzeugt werden musste: Gott sagt ihm: „Was ich für rein erklärt, nenne du nicht unrein!“ Mit anderen Worten: „Hör auf, Grenzen zu ziehen, wo in Gottes Augen keine sind. Denn Gottes sternenreiches Universum hat keinen Rand.“
Wie revolutionär muss vor diesem Hintergrund daher die Geburtsgeschichte mit den Sterndeutern als Protagonisten gewirkt haben. Heute wäre es undenkbar für den frommen Christen, den heiligen Evangelisten in Frage zu stellen, aber ich stelle mir vor, dass das zu Matthäus‘ Lebzeiten ganz anders gewesen sein muss. Neben Befürwortern wird er in seiner Gemeinde auch auf viel Widerstand gestoßen sein. Zu Progressiv! Verrat an der Tradition! – so ähnlich könnten die Vorwürfe gelautet haben. Schön zu sehen, dass die Geschichte Matthäus Recht gegeben hat. Kämpfe, die er führen musste, gehören für uns längst der Vergangenheit an. Geschichte wiederholt sich nicht, so sagt man, aber manchmal reimt sie sich. Alte Konflikte tauchen in neuem Gewand wieder auf. Unsere Gesellschaft, unsere Kirche, erliegt nach wie vor der Versuchung, Grenzen zu ziehen, Menschen an den Rand zu drängen und zu diskriminieren. Queere Menschen können davon ein Lied singen. Wir erleben eine Gesellschaft, die trotz aller Toleranz bisweilen immer noch dazu neigt, Menschen nach gesetzten Standards, den heteronormativen nämlich, zu messen. Wir erleben eine Kirche, die nach wie vor meint, den Lebenswandel ihrer Mitglieder in gottgefällig und gottlos einzuteilen. Die antiken Kategorien wie „rein“ und „unrein“ wie im Falle der Heiden werden dabei in der Regel nicht mehr verwendet. Aber stattdessen werden neue Kategorien bemüßigt, wenn z.B. von „normal“ und „anomal“, „natürlich“ und „widernatürlich“ die Rede ist. Ich wünsche mir, dass in unserer Kirche mehr Menschen wie Matthäus auftreten, die dem Widerstand von Traditionalisten zum Trotz immer wieder neu dafür kämpfen, alte Denkmuster aufzubrechen und Horizonte zu erweitern.
Im Evangelium bringen die Sterndeuter aus dem Morgenland dem Jesuskind schließlich ihr Eigenstes dar, drei wertvolle Geschenke nämlich, die für ihre östliche Kultur typisch sind: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Im Laufe der Geschichte gab es verschiedenste Interpretationsversuche, die drei Gaben symbolisch zu deuten. Besonders schön finde ich die Deutung Martin Luthers, der die Gaben der Sterndeuter mit den Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe gleichsetzt. Luther sagt – ich zitiere: „Diese Gaben kann jeder Christus darbringen, der Arme nicht weniger als der Reiche.“ Ich bin versucht, Luther zu ergänzen: „die Homos nicht weniger als die Heteros, die trans-Personen nicht weniger als die Cis-Personen, kurz alle Menschen des Regenbogenspektrums.“ Schließlich stellt sich die Frage, welches die speziellen Gaben sein mögen, die queere Menschen Christus darbringen können, um damit in der Welt segensreich zu wirken?
Ich bin zum Schluss gekommen, dass das bloße Anderssein an sich die Gabe ist, ohne dieses Anderssein weiter definieren zu müssen. und die damit zusammenhängenden Wunden, die einem als Queer von einer Welt zugefügt wurden, die nicht auf uns zugeschnitten ist. Wer sich als Ausnahme-Mensch erlebt hat, kann eine hohe Sensibilität für andere Menschen in Not entwickeln. Wer sich selbst als wunderbares und außergewöhnliches Geschöpf Gottes angenommen hat, gesteht dieses Recht auch anderen Geschöpfen zu. Und wer erlebt hat, wie fragil das Lebensumfeld sein kann, nimmt die Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit anderer Lebensräume besser wahr.
So formuliert es zumindest der Theologe Klaus-Peter Lüdke in seinem Büchlein „Queer mit Gott“, in dem er sich mit seinem Glauben angesichts des Outings seines transidenten Kindes befasst. Ganz am Ende seines Buches bringt er einen knappen Gedankenimpuls, der Inspiration für die heutige Predigt war. Er schlägt eine theologische Interpretation des Gendersternchens vor. Das Schriftzeichen ist allseits bekannt: Es soll mit seinen in alle Richtungen weisenden Linien die Vielfalt menschlicher Empfindungen und Identitäten versinnbildlichen. An dieser Stelle erinnert Lüdke aber daran, dass der Stern in der Bibel ebenso Gottes Segenszusage versinnbildlicht. Seit dieser Lektüre vergeht eigentlich kaum mehr ein Moment, wo ich bei der Verwendung von Gendersternchen nicht an dieses göttliche Versprechen denken muss. Und um so lieber gender ich jetzt.
Die Botschaft des Matthäusevangeliums gilt auch uns Queers: Der Stern zu Betlehem leuchtet auch für uns. In Gottes grenzenlosem und gesegnetem Universum schillern selbstverständlich auch Sterne in bunten Regenbogenfarben. Unsere Wunden sind die Gaben, die wir Christus schenken können. So können wir Licht der Welt sein und statt unser Licht unter den Scheffel zu stellen, sollten wir das tun, was Sterne nun mal am besten können: leuchten.