// Was veranlasst Menschen, sich zusammenzutun, etwas zu initiieren? Sie haben ein bestimmtes Anliegen, suchen sich Gleichgesinnte und suchen geeignete Formen, das auszudrücken. Was für ein beliebiges Unterfangen gilt, gilt auch und besonders für den Münchner queerGottesdienst.
Der Leidensdruck bestand darin, in keinen Gottesdienst gehen zu können, der angemessen zur Sprache bringt, was die Initiatoren und Initiatorinnen bewegte: die Freude am eigenen Schwul- oder Lesbischsein, an der eigenen Transidentität und gleichzeitig das Leiden an einer Kirche, die diese Freude nicht teilen will.
Also bildeten sich seit 1991 zuerst in Frankfurt, dann in Stuttgart, Münster und anderswo selbst initiierte Gottesdienste, die zunehmend das Wort „queer“ voranstellten. Um 2000 trafen sich auch in München schwule Männer, die sich schon zum Teil aus Würzburg kannten und gemeinsam diesen Plan verfolgten. Einer von ihnen war Michael Brinkschröder, der damals über gleichgeschlechtliche Sexualität in der Religionsgeschichte promovierte.
Unabhängig davon fand Gerhard Wachinger beim Besuch des Queergottesdienstes in Münster so großen Gefallen daran, dass er sich auf die Suche nach Mitstreitern machte. Michael und Gerhard fanden zusammen bei einer Tagung der Katholischen Akademie in Bayern zum Thema „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ im Februar 2001 und vereinbarten die Bildung einer Vorbereitungsgruppe für den ersten Münchner queerGottesdienst.
Ein gutes Jahr der Vorbereitung begann: Die beiden fragten sich: „Wer soll mittun?“ Zu vier schwulen Männern kamen nach einem halben Jahr drei lesbische Frauen hinzu. „Was wollen wir tun?“ Bald schälte sich heraus, dass es sich um eine – monatliche – Eucharistiefeier im römisch-katholischen Ritus handeln soll. Das war die vertraute liturgische Form der Menschen, die angesprochen werden sollten. „Wo wollen wir es tun?“ Einige Pfarrer boten ihre Kirche an. Es wurde St. Stephan im Münchner Stadtteil Neuperlach. Der Raum war sehr gut geeignet für eine Gruppe, die sich vor allem nach Gemeinschaft sehnte.
„Mit wem wollen wir es tun?“ Viele Priester wurden angesprochen. Zu Beginn standen die Namen von sieben Zelebranten fest. Bis zuletzt gehörte Thomas Kammerer dazu, der über 50 Gottesdiensten vorstand.
„Wie wollen wir dafür werben?“ Ein Faltblatt entstand mit einem wohldurchdachten Text. Ausgelegt wurde es in schwulen und lesbischen Bars und Kneipen. Ein Artikel entstand im Sergej, dem damaligen Szene-Magazin.
Im März 2002 war es soweit: Es fand der erste queerGottesdienst in München mit mehr als 60 Teilnehmenden statt, mehr als erwartet.
Ein Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ nach dem vierten queerGottesdienst schreckte das Erzbischöfliche Ordinariat auf. Der damalige Leiter des Seelsorgeresorts, Prälat Alois Obermaier, ließ alle Zelebranten und – auf Thomas Kammerers Vorschlag – auch Gerhard Wachinger zusammenkommen. Prälat Obermaier erarbeitete Vorgaben, die vor allem darauf abzielten, dass der Gottesdienst „nichts Besonderes“ sei. Am Ende des Gesprächs fragte Gerhard Wachinger ihn: „Herr Prälat, hätten wir Sie vorher fragen sollen?“ Er antwortete: „Nein, das haben Sie schon richtig gemacht. Wir hätten zwei Jahre diskutiert und herausgekommen wäre nichts.“
Ein weiteres Ergebnis des Gesprächs mit dem Ordinariat war allerdings das Verbot, den Gottesdienst „queerGottesdienst“ zu nennen. Das hatte die fatale Folge, dass manche an der sogenannten Abendmesse in St. Stephan teilnahmen und sich wunderten, in einem Gottesdienst für Schwule und Lesben zu sein.
So gedieh der queerGottesdienst sieben Jahre lang. Die Vorbereitung und die Feier etablierten sich. Doch galt es auch aufzupassen. 2003 war der Münsteraner Queergemeinde die Eucharistiefeier untersagt worden, weil sie damit zu sehr an die Öffentlichkeit ging. Aus heutiger Sicht unfassbar: Man stelle sich vor, in einer renommierten überregionalen Zeitung erschiene ein Artikel über den Münchner queerGottesdienst, aber weder Ort noch Zeit würden genannt.
Nach sieben Jahren allerdings kam Unheil auf in Gestalt des Neokatechumenats, einer konservativen geistlichen Gemeinschaft innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Dieses dominierte eine der Neuperlacher Pfarreien. Beim Zusammenschluss von fünf Pfarreien zu einem Pfarrverband machte der Pfarrer deutlich, dass er den „Schwulengottesdienst“ nicht dulden werde. Daraufhin bemühten sich der zuständige leitende Pfarrer mit dem Team des queerGottesdienstes und Prälat Obermaier um einen Umzug in die Innenstadt. Nach einigen aufregenden Monaten gelang der Umzug. Der queerGottesdienst wurde in St. Paul an der Theresienwiese herzlich aufgenommen und konnte sich dort gut entwickeln. Auch der Name war bald kein Problem mehr. So durfte endlich das Kind so heißen, wie es wollte.
In 20 Jahren gedeiht und vergeht manches in einem Gemeindeleben. Wochenenden kamen und gingen, Einzelveranstaltungen und regelmäßige wie der Glaubensgesprächskreis, das queerBibellesen oder -Bibelteilen, sogar einen Chor, die Queerspatzen, gibt es oder gab es eine Zeitlang. Ökumenische Verbundenheit mit queeren Christinnen und Christen aller Konfessionen wird gepflegt.
Anfangs über 60, mittlerweile 40 Teilnehmende, meist schwule Männer, kommen durchschnittlich zum Gottesdienst, viele davon regelmäßig, und spüren, dass sie willkommen sind, ausdrücklich willkommen geheißen mitten in der katholischen Kirche. Die Motivation aller speist sich vor allem aus der Erfahrung von Diskriminierung in der Kirche. Sie ist das Feuer, aus dem sich immer wieder Initiativen ergeben.
Wenn jetzt der Münchner Erzbischof Reinhard Marx dem queerGottesdienst vorsteht, kommt nicht nur der Leiter einer bayrischen Ortskirche, sondern als Kardinal ein hoher Repräsentant der Weltkirche und Papstberater. Für viele geht jetzt ein Traum in Erfüllung. Es wird deutlich, dass sich Entscheidendes in der Kirche ändert. Annahme statt Ausgrenzung, Zuwendung statt Abwendung tun den Teilnehmenden unbeschreiblich gut.
Und doch braucht es den queerGottesdienst weiterhin. Gott sei Dank sind in vielen Gemeinden schwule Katholiken und lesbische Katholikinnen inzwischen selbstverständlich. Es bleibt aber der Wunsch, sich zu treffen und gemeinsam zu feiern, mit eigenen Themen und Anliegen. Das wird auch weitergehen, solange queere Christinnen und Christen Lust haben, in den Formen der Kirche Gott zu feiern und gemeinschaftlich der Freude an ihrer sexuellen Identität und an ihrem Kirchlichsein Ausdruck zu verleihen.
Gerhard Wachinger